Interview

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Gerhard Falkner was born in the Franconian town of Schwabach, Germany, and lives in Berlin and Bavaria. For his work as a poet, dramatist, novelist, essayist and literary translator he has received several prizes and won several important scholarships including a stay at the Villa Massimo and Villa Aurora in Rome. He has published 12 volumes of poetry, including Hölderlin Reparatur, for which, in 2009, he has received the prestigious Peter Huchel Prize. Some of his poetry books, such as Ignatia, have been translated into English. His novels Apollokalypse (2016) and Romeo or Juliette (2017) were on the long and short lists of the German Book Prize.

Falkners Lyrik zeichnet sich durch einen ebenso intellektuellen wie romantischen Ton aus, wenngleich seine Sprache durchaus zeitgenössisch daherkommt. Obwohl er selbst behauptet, von den französischen Poststrukturalisten beeinflusst zu sein, ist seine Lyrik alles andere als destruktiv oder negativ. Im Gegenteil, sie atmet den Geist von Hölderlin und ist stark beeinflusst von Schlegels Poetologie. Falkners Ästhetik hat unter den zeitgenössischen deutschen Lyrikern eine besondere Strahlkraft und zeichnet sich durch enormen Witz aus. Seine Gedichte sind durchwirkt von einer enormen poetischen Fantasie, die in der Lage ist, der allenthalben durchscheinenden Melancholie die Waage zu halten. Durch die Erfindung origineller Neologismen und außergewöhnlicher Metaphern ist Falkner in der Lage, selbst die vulgärsten Aspekte des Lebens raffinierte Metaphern zu verklären und den Leser zu inspirieren.

Author: H.D. Amadé Esperer, ARIEL Issue 1, 2020, p. 114

Falkner’s poetry is characterized by a tone that is as intellectual as it is romantic, even though his language is thoroughly contemporary. Although he himself claims to be influenced by the French post-structuralists, his poetry is anything but destructive or negative. On the contrary, it breathes the spirit of Hölderlin and is strongly influenced by Schlegel’s poetology. Thus, Falkner’s lyric poetry has a special radiance among contemporary German poets and is characterized by enormous wit. His poems are imbued with rich, sometimes even exuberant, poetic fantasy that is able to balance the melancholy that shines through everywhere. By inventing original neologisms and extraordinary metaphors, Falkner is able to transfigure in a refined way even the most vulgar aspects of life and inspire the reader.

Author: H.D. Amadé Esperer, ARIEL Issue 1, 2020, p. 114

Interview mit Gerhard Falkner

Esperer: Herr Falkner, Sie sind einer der bekanntesten und wichtigsten Literaten im deutschsprachigen Raum und, wie es sich gehört, mit zahlreichen Preisen geehrt worden. Sie sind vor allem durch Ihre Lyrik, aber auch als Essayist, Herausgeber und Romancier bekannt. Ich habe heute die Ehre und das große Vergnügen, Sie zu Ihrem lyrischen Werk befragen zu können. Lassen Sie mich am Anfang gleich eine sehr persönliche Frage stellen: Was hat Sie bewogen, Gedichte zu schreiben und sie zu veröffentlichen?

Falkner: Ich habe als Jugendlicher viel Baudelaire, Rimbaud und Benn und die englischen und deutschen Romantiker gelesen und bemerkt, dass dies sehr mit meinem Ausdruckswunsch und meinem Drang nach eindringlicher Sprache korrespondierte und an diesem Wunsch und Drang habe ich mich schließlich in die Formen des Gedichts, die mir vorschwebten, emporgehangelt.

Esperer: Sie wurden im mittelfränkischen Schwabach geboren und sind dort und später in Nürnberg aufgewachsen. Soweit ich weiß, haben Sie aber auch Wurzeln im Sudentenland und Ihre Muttersprache war, wenn ich richtig unterrichtet bin, Sudetendeutsch. In Ihrer Lyrik beschäftigen Sie sich ja immer wieder, selbst im allerneusten Band Schorfheide, philosophisch mit dem Phänomen Sprache. Kann es sein, dass Ihre frühe Mehrsprachigkeit, Sie mussten ja spätestens im Kindergartenalter als Zweitsprache Fränkisch und im Schulalter als Drittsprache Hochdeutsch lernen, Sie für Sprache sensibilisiert und interessiert hat?

Falkner: Das ist so leider nicht ganz richtig. Nach Nürnberg kam ich erst während meiner Zeit als Buchhändler und ich selbst habe keine Wurzeln im Sudetenland, Allerdings war meine Mutter von dort und ich habe bei ihren Eltern, (also meinen Großeltern (mütterlicherseits) viel Sudetendeutsch gehört bei den immer recht großen Familientreffen. Naja, und die Sprache ist ja das, wodurch wir wirklich und fassbar in Erscheinung treten, unser optisches Erscheinungsbild ist dagegen flüchtig und viel weniger aufregend. Die Beschäftigung mit dem Phänomen Sprache ist für einen Dichter unabdingbar!

Esperer: Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, und Sie haben selbst auch lange Zeit in den USA, Großbritannien, Holland und Italien gelebt. Waren diese Auslandserfahrungen für Ihre Ausreifung als Autor wichtig? Haben Sie sich also mit den Leuten über Land und Leute unterhalten können und so Ihr diesbezügliches Weltwissen authentisch erlangt?

Falkner: Ja, diese Auslandsaufenthalte waren für mich von unüberschätzbarer Bedeutung, besonders die in London, und später die in den USA, New York und Los Angeles.

Esperer: Herr Falkner, Sie haben 2013 in einem in Text+Kritik veröffentlichten Essay beanstandet, dass dem zeitgenössischen Literaten die Fähigkeit zum »Inneren Monolog« verloren gegangen sei, dass sein »Sprachmaß heruntergefahren und kontingentiert werde« auf etwas, was Sie als »superkurze Einsatz- und Bereitschaftssprache« bezeichnet haben. Sie haben als eine Folge dieser quasi instantanen Sprechhaltung die Formlosigkeit seiner Sprache benannt. Was bedeutet das übertragen auf die Lyrik? Erklären Sie damit die Tatsache, dass heute praktisch die Mehrzahl der auf den Markt geworfenen Gedichte deswegen formlos gestrickt sind und allzu häufig eigentlich nur über Zeilen gebrochene Prosa sind? Ein Sonett etwa zu komponieren braucht, wie wir wissen Zeit, und eignet sich nicht als lyrisches Reservoir für instantanes Sprechen. Ist die Sprachkontingentierung in kurze Häppchen einer der Gründe, warum in der zeitgenössischen Lyrik so wenig auf klassische Gedichtformen generell zurückgegriffen wird?

Falkner: Nicht verloren gegangen, sondern im Schwinden, im Versiegen begriffen. Das bedeutet, der Dialog mit sich selbst, das innere Selbstgespräch, reißt ab. Das Gedicht aber braucht diese Reflexion, um zu reifen, um in Form zu kommen. Klassische Gedichtformen helfen, müssen aber nicht unbedingt sein. Ich habe, bevor ich meine eigene Sprache fand, ziemlich lange an Sonetten gearbeitet.

Esperer: Ist vielleicht auch ein Grund für diese »Häresie« der Formlosigkeit, die bei den jüngeren Autoren und Autorinnen auffällt, die Tatsache, dass die Lyriker – ich zitiere wieder Gerhard Falkner – »in ihrer Funktion als larvierte Kriegerkaste des Kapitals dazu da sind, Traditionen, Werte und Institutionen aufzubrechen, zu destabilisieren und einzureißen «?

Falkner: Das war nicht exklusiv auf die Lyriker, sondern auf den Künstler bezogen.

Esperer: Das Fehlen eines inneren Monologes, wie Sie es diagnostiziert haben, betrifft ja wohl auch, und vielleicht sogar in erster Linie, den heutigen Literatur- bzw. Lyrik-Rezipienten.

Kann man daraus ableiten, dass die Zeiten für Lyrik ungünstig sind, weil der potentielle Lyrikleser nicht mehr die Ruhe findet, durch die Lektüre zu einem Inneren Monolog finden zu können? Könnte der Lyriker etwas dagegen tun? Hülfe etwa Blurb- oder Flurf-Lyrik?

Falkner: Ob der Lyriker in der Lage ist, gegen irgendetwas irgend etwas zu tun, ist fraglich bis unwahrscheinlich, da es eine beabsichtigte Wirkung implizieren würde, für die das Gedicht

in den entscheidenden Beispielen nicht gerüstet ist. WAS FLURF-LYRIK ist, weiß ich leider nicht. Oder zum Glück.

Esperer: Herr Falkner, Ihre Lyrik ist ja stark philosophisch grundiert. Wie schätzen Sie den Einfluss von Derrida oder Lyotard auf Ihre literarische Arbeit ein?

Falkner: Es waren nicht vorwiegend Derrida oder Lyotard, die mich beeinflusst haben, das waren anfangs eher Roland Barthes und Foucault. Zu Derrida habe ich eher ein gespanntes Verhältnis. (Zuviel Geflunkere!). Ich gebe zu, ich nehme immer nur, was ich gebrauchen kann, und was meiner poetischen Gestaltungsabsicht »einheizt!«

Esperer: Interessant ist ja das romantische Konzept des Schönen, das Ihre Lyrik ganz wesentlich motiviert. Wie halten Sie es da mit Lyotards Dictum, dass die Künste nicht mehr das Schöne, sondern das Erhabenes (sublime) zum Gegenstand haben sollten?

Falkner: Für mich liegen das Sublime und das Schöne sehr nah beieinander, in gegenseitiger Griffweite. Das Erhabene ist ja sozusagen schwieriger als das Schöne. Dieses Dilemma hat die Romantik übersprungen mit dem Postulat:» Der Künstler selbst, nicht die Natur, produziert das Schöne« (Novalis)

Esperer: Teilen Sie die Skepsis der postmodernen Philosophen Metanarrativen gegenüber?

Falkner: Über diese Frage besitze ich zu wenig Kenntnis! Tendenziell neige ich aber dazu, eine vorhandene Skepsis erst mal zu teilen.

Esperer: Herr Falkner, Ihre Gedichte sind – und dies nicht erst seit den in Hölderlin.Reparatur veröffentlichten– romantisch intendiert, um nicht zu sagen grundiert, worauf Sie selbst ja immer wieder hingewiesen haben, und was einem auch beim Close Reading klar wird. Verstehen Sie das Romantische an Ihrer Lyrik als Versuch, in der uns heute umgebenden zunehmend technisierten und virtualisierten Lebenswirklichkeit, das Geheimnis wieder zu entdecken, im Gewöhnlichen das Ungewöhnliche?

Falkner: Schwierige Frage. Stefan George hat ja mal gesagt, nur durch den Zauber bleibt das Leben wach. Diese Einstellung teile ich. Die romantische Dichtung, die ich als eine höchst differenzierte und geistig komplexe und auch radikale wahrnehme hat immer auch versucht, durch Strategien der Übersteigung die Transzendentalien zu Formen und zum Klingen zu bringen (Beispiel Novalis) Das Schöne, das Gute, das Wahre als Erkenntniswege.

Esperer: Ist Ihre Lyrik auch ein Versuch der Rückgewinnung von so etwas wie Transzendenz in einer durch und durch säkularisierten Epoche?

Falkner: Das überschneidet sich mit der vorherigen Frage. Ich will mich natürlich nicht unbedingt als fanatischen Restaurator darstellen, aber meine Vision beinhaltet in hohem Maße die Idee der Transzendenz, die Rilke ja immer wieder als die “reine Übersteigung” mitgeführt hat. Diese poetische Übersteigung des Trivialen und Banalen kostet viel Kraft und Kunst.

Esperer: Während Sie in Ihren ersten drei Lyrikbänden konsequente Kleinschreibung anwendeten, fällt auf, dass Sie ab Hölderin.Reparatur die Standard-Groß-Klein-Schreibung benutzen. Ähnliches beobachtet man auch bei Monika Rinck, die mit Kleinschreibung begonnen hat, um inzwischen ebenfalls bei Standardschreibweise angelangt zu sein. Welche Gründe hat es bei Ihnen, dass Sie seit 2011 wieder die Klein-Groß-Schreibung benutzen?

Falkner: Am Anfang wollte ich eine Sprache, die ohne Vorschüsse auskommt. Also die Großschreibung der Substantive geben diesen ein Dominanz, die sie in meinen Augen im Gedicht nicht verdienten. Aber dann hatte ich irgendwann den Eindruck, dass das vom Leser nicht nachvollzogen wird und eher spleenig interpretiert wird, also rückte ich davon wieder ab und begab mich in die Hochherrschaftlichkeit der, wie Sie es nennen, Standardsprache.

Esperer: 1993 kam Ihre Abhandlung ÜBER DEN UNWERT DES GEDICHTS heraus, die mich nicht nur formal an Wittgensteins Tractatus logicophilosophicus erinnert. Was war das Motivans zu diesem philosophisch-poetischen Werk?

Falkner: Die Nähe zum Tractatus war gesucht. Ich wollte eine Poetologie schreiben, die den Poststrukturalismus in den Diskurs einarbeitet. Und ich wollte polemisch gegen die Verachtung von Lyrik vorgehen, von der man nicht leben konnte und die die Verlage zunehmend verdrängen wollten aus ihren Programmen, ebenso wie die Feuilletons ihren Abdruck mehr und mehr verschmähten.

Esperer: In dem o.g. Traktat schrieben Sie: »Seine höchste Aufregung und Markanz erreicht das Gedicht ausschließlich in der Hochsprache und in einer verdichteten Lage…«. Hatten Sie zu jener Zeit, die ja literaturgeschichtlich beschrieben werden kann als eine (Übergangs-)Phase des Mischmaschs von unterschiedlichen Schreibweisen, Stilen, Richtungen, Haltungen und Selbstverständnissen, hatten Sie das Gefühl, einer sich breitmachenden »Sprachverhunzung« entgegen steuern zu müssen?

Falkner: Mit dem Begriff der “Sprachverhunzung” bringt man sich arg in Verlegenheit, weil dies von den Schwätzern die “Arbeit an Sprache” genannt wird und ein paar Hochgelobte und Heißgerühmte sich in diesem Schattenreich verbergen.

Esperer: Wie würde Ihre therapeutische Empfehlung heute in Bezug auf Ausflüge in die Gendersprache lauten?

Falkner: Die Gendersprache ist ein vermintes Gelände, das nicht “sachgemäß” zu betreten sofort zum medialen Kollaps des verwegenen Autors führt.

Esperer: Wie sollte der Lyriker sich im Tabugelände der Political Correctness verhalten?

Falkner: Die politische Correctness ist eine Geisel des unabhängigen Denkens. Sie zu verschmähen ist jedenfalls nicht ratsam.

Esperer: Sie beziehen sich, was Ihre Poetologie betrifft, immer wieder auf die Romantik, insbesondere auf die Athenäum-Fragmente von Friedrich Schlegel. Können Sie das ein bisschen erläutern?

Falkner: Ja, vor allen Dingen auf das 116 Athenäum Fragment. Schlegel war ja in Jena zuständig für Vermittlung von Fichte und Kant. Er war darüber hinaus ein genialer Beurteiler der romantischen Dichtung. Er hat in seiner Definition der Universalpoesie erkannt, dass es wichtig ist, die Poetische Sprache mit der Philosophie und den wissenschaftlichen Sprachen zu versöhnen. Damit traf er mitten in meine eigene Ambition. Bei meinem Band Ignatien habe ich umfänglich von den Thesen Schlegels Gebrauch gemacht.

Esperer: Kommen wir nun etwas spezifischer zu Ihrer Lyrik. Ich finde, mit dem Band Hölderlin. Reparatur hat sich im Vergleich zu den vorhergehenden Bänden Ihre lyrische Sprache deutlich gewandelt. Jeder neue Lyrikband hat eine eigene Tonart. Würden Sie dem zustimmen?

Falkner: Ja, dem stimme ich unbedingt zu: weil es meine Absicht ist, für jeden Gedichtband eine andere, „neue“ Sprache zu finden. Tonart wäre, glaube ich, sogar zu wenig gesagt. Der Sprung zwischen den Ignatien und den Schorfheide Gedichten ist ja doch ziemlich groß,- oder weit. Die meisten Dichter bleiben panisch bei dem, wofür sie gelobt wurden, sie werden sich quasi mit jedem Buch immer ähnlicher (Grünbein, Seiler, Kolbe etc.), bis zum Steinerweichen.

Esperer: Ist mein Eindruck, dass sich vor allem seit den Ignatien der Reichtum an intertextuellen Verweisen, in Form von Anspielungen, Zitaten, Halb- und Pseudozitaten im Vergleich zu den vorhergehenden Bänden signifikant gesteigert hat, richtig?

Falkner: Anspielungen, Intertextualitäten, Zitate gibt es viele, das stimmt. Ich mach es, ich kann nicht anders! Sie sollen ein Gedicht nicht bereichern, sie sollen nur Luft (Geist) reinlassen.

Esperer: Ist die Ignatia 3 eine Kritik an der Sprachkritik?

Falkner: Kritik würde ich das nicht nennen. Es ist eher ein Spiel mit allen Mitteln, so eine Art: „Hasch mich, ich bin die Sprache“ aber die einzelnen Spielzüge beanspruchen, für sich genommen, alle „tiefere Bedeutung“.

Esperer: Ist Ignatia 4 eine Kritik an Leslie Fiedlers Philosophie, die sich in seinem Dictum »Cross the border close the gap! « zusammenfassen lässt?

Falkner: An Leslie Fiedler habe ich bei der Komposition der Ignatie Nr 4 nicht gedacht. Diese Diskussion liegt ja zeitlich noch ganz am Rande der 68er, die mir inzwischen nur noch etwas verschwommen im Gedächtnis sind. Obwohl viel »Durchgeknalltes« in dieses schöne Gedicht Eingang gefunden hat. Ich gehöre eben nicht zu den Menschen, mir mein Schicksal nur einzubilden. Immerhin wurden Leslie Fiedlers Ideen schließlich in den USA im Playboy veröffentlicht, was mir bisher nicht gelang.

Esperer: Auch Ignatie 5 scheint mir eine schallende, an Ironie kaum zu überbietende, Kritik an den Poststrukturalisten. Sehe ich das richtig?

Falkner: Die Ignatie 5 verhält sich zum Poststrukturalismus „distanzlos“. Die Ignatien sind ja bipolare Elegien, wo sich zum ergreifenden Ton auch immer wieder die rhapsodische Invektive gesellt, die dann auch in der Tat versucht, sich zu überbieten.

Esperer: Eine ebenso beißende Kritik am Poststrukturalismus scheint mir auch Ignatie 7 zu sein, die mit erfrischender poetischer Fantasie einen bravourösen Kurzstreifzug durch die Philosophiegeschichte gibt. Liege ich da richtig?

Falkner: Die Ignatie 7 ist ja im Grundton eher melancholisch. Bipolar heißt ja für mich, manisch-melancholisch. Den Begriff „depressiv lehne ich in diesem Zusammenhang ab. Der kurze Streifzug durch die Philosophie verdankt sich einer Laune, nachdem es morgens um 8:00 an meiner Wohnung geklopft hatte, aber niemand da war. Diesen Tagesrest habe ich dann verphilosophiert.

Esperer: Kommen Wir nun zu Ihrem neuesten Lyrikband »Schorfheide«. Er ist wiederum in einem ganz eigenen Ton verfasst, den ich beinah ein bisschen melancholisch nennen möchte. Trügt dieser Eindruck?

Falkner: Jetzt kommen sie selbst auf melancholisch! Die Melancholie ist eine erhebliche schöpferische Kraft in der Dichtung, im Gegensatz zur Depression, die nur kalt und unfruchtbar ist. Die englische Romantik ist ohne Melancholie undenkbar! (Keats Shelley). In den Schorfheidegedichten, in denen ich mich »als Landschaft durch die Gegend trage« ist der schwebende Gefühlszustand tatsächlich überwiegend melancholisch.

Esperer: Was hat es damit auf sich, dass jedes der in »Schorfheide« aufgenommene Gedicht denselben Titel, nämlich »Schorfheide«. trägt?

Falkner: Dass alle Gedichte den gleichen Titel tragen, nämlich Schorfheide, verdankt sich meiner Neigung zur Bildenden Kunst und zu konzeptuellen Ideen, die ich seit der Hölderlin

Reparatur immer wieder verwende. Ich wollte die Gedichte durch eine serielle Konzeption enger aneinanderbinden. Der wohl bekannteste serielle Künstler ist wahrscheinlich Andy

Warhol mit seinen »Campbell Soups« oder seinen »Marilyn Monroes«. Die Gedichte zeigen auch immer die gleiche Dose, nämlich die Landschaft und Natur der Schorfheide, die Inhalte bestreiten dann die Momente der Wiederholung und der Variation.

Esperer: Die Schorfheide-Gedichte sind in Natur eingebettete Monologe, die in erster Linie zum Nachdenken über Sprache als Kommunikation einladen, richtig?

Falkner: Richtig!

Esperer: Hat Sie etwa das Fontane-Jubiläumsjahr dazu bewogen, Ihre »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« zu schreiben oder was war die Motivation, noch einmal so weitverzweigt über Sprache nachzudenken?

Falkner: Nein, die Ausflüge in die Schorfheide (und auch die Mark) verdanken sich meinen ornithologischen und botanischen Interessen und meinem Verlangen „nach Himmel“.

Esperer: Welche weiteren lyrischen Projekte haben Sie in der Pipeline?

Falkner: Darüber kann ich leider noch nicht sprechen und worüber man (auch) nichtsprechen kann, darüber soll man schweigen.

Esperer: Womit wir wieder bei Wittgenstein wären. Lieber Herr Falkner, herzlichen Dank für dieses lebhafte Gespräch.

Interview with Gerhard Falkner

Esperer: Mr. Falkner, you are one of the most well-known and important German authors and, thus, quite a few prestigious prizes have been awarded to you. Among your multiple activities as an editor, author of novels and essays, writing lyrical poetry has been a hallmark of your vita. Thus, today, it is an honor and a great pleasure for me having you here for an interview about your impressive poetic work. Let me ask you a very personal question right at the beginning: What motivated you to write poems and publish them? 

Falkner: Well, as a teenager I read a lot of Baudelaire, Rimbaud and Benn and the English and German Romantics, and I noticed that this corresponded very much with my desire for expression and my urge for forceful language, and it was this desire and urge that finally caused me to work my way up into the forms of poetry I had in mind.

 Esperer: You were born in the city of Schwabach in Central Franconia and grew up there and later in Nuremberg. As far as I know, you also have roots in the Sudetenland and your mother tongue, if I am correctly informed, was Sudeten German. In your poetry you are always philosophically concerned with the phenomenon of language, even in your latest poetry volume Schorfheide. Could it be that your early multilingualism – you had to learn Franconian as a second language at kindergarten age and High German as a third language at school age at the latest – sensitized you and interested you in language?

Falkner: I am afraid that is not quite correct. I came to Nuremberg only later as a bookseller and I myself have no roots in the Sudetenland. However, my mother was from there and I heard a lot of Sudeten German from her parents (my grandparents on my mother’s side) at the always quite large family gatherings.

 Esperer: Your books have been translated into numerous languages, and you yourself lived for a long time in the USA, Great Britain, Holland and Italy. Were these experiences abroad important for your maturing as an author? Were you able to talk to people about the country and its people, and have you been able to gain an authentic knowledge of the world in this respect?

Falkner: Yes, these stays abroad were of invaluable importance for me, especially those in London, and later those in the USA, New York and Los Angeles.

Esperer:  Mr. Falkner, in an essay published in Text+Kritik in 2013, you complained that the contemporary writer had lost the ability of »inner monologue«, that his »linguistic measure« was reduced and contingent upon something that you described as »super-short deployment and »readiness language«. You have named the formlessness of the contemporary author’s language as one consequence of this quasi instantaneous speech attitude.

What does this mean in terms of poetry? Do you explain the fact that practically the majority of poems thrown onto the market today are therefore formlessly knitted together and all too often are actually just prose broken over lines? Composing a sonnet, for example, as we know, takes time and is not suitable as a lyrical reservoir for instantaneous speech. Is this kind of small-sliced language one of the reasons why so little use is made of classical forms in current lyric poetry?

Falkner: The »Inner Monologue« has not completely been lost, but is dwindling, drying up. This means that the dialogue with oneself, the inner soliloquy, is breaking off. But the poem

needs this reflection to mature, to take shape. Classical forms of poetry help, but do not necessarily have to be. Before I found my own language, I used the sonnet form for quite some time.

Esperer: Is perhaps also a reason for this „heresy“ of formlessness, which is strikingly prevalent among younger authors, the fact that poets – and I quote Gerhard Falkner again – „in their function as the larval warrior caste of capital are there to break up, destabilize and tear down traditions, values and institutions“? That comment of mine was not exclusively related to poets, but to artists in general.

Esperer: The absence of that inner monologue, as you described it, probably also, and perhaps even primarily, affects today’s literature or poetry recipient. Can one deduce from this that the times are unfavorable for poetry because the potential poetry reader, in reading, no longer can find the peace of mind necessary to enter an inner monologue?If so, could the poet do something about it? Would blurb or flurf poetry be helpful?

Falkner: Whether the poet is able to do anything against anything is questionable to improbable, since it would imply an intended effect for which the poem is not equipped in the decisive examples. What FLURF-Poetry is, unfortunately, I do not know. Or fortunately.

 Esperer: Mr. Falkner, your poetry is strongly philosophically grounded and significantly influenced by poststructuralism. How do you view the influence of Derrida or Lyotard on your literary work?

Falkner: It wasn’t mainly Derrida or Lyotard who influenced me. At first it was rather Roland Barthes and Foucault. I have a rather tense relationship with Derrida. (Too much fibbing!) I admit, I always take only what I can use and what »fuels« my creative poetic intentions!

Esperer: Interestingly, it is the romantic concept of beauty which motivates your lyric poetry quite considerably. What do you think about Lyotard’s dictum, that the arts should no longer have the beautiful, but the sublime as their subject?

Falkner: For me, the sublime and the beautiful lie very close together, within reach of each other. The sublime is more difficult than the beautiful, so to speak. Romanticism skipped this dilemma with the postulate: „The artist himself, not nature, produces the beautiful.“ (Novalis),

Esperer: Do you share the skepticism of postmodern philosophers towards metanarratives? 

Falkner: I have too little knowledge abo4ut this question! But I tend to share an existing skepticism for the time being.

Esperer: Mr. Falkner, your poems are – and not only because they were published in Hölderlin Repair – romantically intended, not to say grounded, which you yourself have pointed out again and again, and which becomes clear in their close reading. Do you understand the romantic in your poetry as an attempt to rediscover the secret in the increasingly technical and virtualized reality of life that surrounds us today, to rediscover the unusual in the ordinary?

Falkner:  Difficult question. Stefan George once said that only through magic does life stay awake. I share this attitude. Romantic poetry, which I perceive as highly differentiated and intellectually complex and also radical poetry, has always tried to use strategies of transcendence to bring the transcendental to form and sound (e.g., Novalis). The beautiful, the good, the true as paths of knowledge.

Esperer: Is your poetry also an attempt to recapture something like transcendence in a thoroughly secularized epoch?

 Falkner: This question overlaps with the previous one. Of course, I don’t necessarily want to portray myself as a fanatical restorer, but my vision includes to a large extent the idea of transcendence, which Rilke always expressed as the „Reine Übersteigung“. This poetic transcendence of the trivial and banal takes a lot of energy and poetic skill.

Esperer: While, in your first three poetry books, you consistently used lower case orthography, it is noticeable that from Hölderin.Reparatur onwards you use standard German capitalization. Similar observations can be made with Monika Rinck, who started with lower case and has now also landed on standard case. What are your reasons for returning to standard orthographic lower-upper-case writing?

Falkner: Well, initially, I wanted a language that could get by without paying advances, and I thought the capitalization of the nouns would give these a dominance that in my eyes they did not deserve in a poem. But then at some point I had the impression that the reader would not understand, and that it would be interpreted rather airy-fairy, so I moved away from it again and went with the old-fashioned arrogance you call standard orthography.

Esperer: In 1993, your treatise ON THE UNWORTH OF THE POEM came out, which reminds me not only formally of Wittgenstein’s Tractatus logicophilosophicus. What was the motive behind this philosophical-poetic work?

Falkner: The proximity to the Tractatus was sought by me. I wanted to write a poetology that incorporated poststructuralism into the discourse. And I wanted to take a polemical stand against the disdain for poetry that one could not live on and that publishers increasingly wanted to oust from their programs, just as the newspapers‘ feature pages increasingly despised their being printed.

Esperer: In the above-mentioned treatise you wrote: „The poem achieves its highest excitement and distinctiveness exclusively in the high language and in a condensed situation.“ At that time, which, in the history of literature, can be described as a (transitional) phase of a hodgepodge of different ways of writing, styles, directions, attitudes and self-understanding, did you have the feeling that you had to steer against a spreading »language  dulteration«?

Falkner: Using the term »language adulteration« (Sprachverhunzung), you risk embarrassment, because this is called by the chatterers the »work on language« and a few highly praised and heralded ones hide in this shadow empire.

Esperer: What would your therapeutic recommendations be today with regard to excursions into gender language?

Falkner: Gendered language is a mined area, which if not »properly« entered immediately leads to the media collapse of the audacious author.

Esperer: How should the poet behave in the taboo area of political correctness?

Falkner: Political correctness is a scourge of independent thinking. To spurn it is not advisable in any case.

Esperer: As far as your poetology is concerned, you repeatedly refer to Romanticism, especially to the Athenaeum fragments by Friedrich Schlegel. Can you explain that a little bit?

Falkner:  Yes, especially the 116th Athenaeum fragment. Schlegel was responsible in Jena for the mediation of Fichte and Kant. He was also a brilliant judge of romantic poetry. In his definition of universal poetry, he recognized that it is important to reconcile poetic language with philosophy and scientific languages. With this he hit right in the middle of my own ambition. In my book Ignatia I made extensive use of Schlegel’s theses.

Esperer: Let us now switch to your poetry in a more specific way. I got the impression that with the volume Hölderlin.Reparatur your lyrical language has changed considerably compared to the previous volumes. Each new poetry book has its own tonality. Would you agree with that?

Falkner: Yes, I absolutely agree: because it was my intention to find a different, „new“ language for each volume of poetry. However, tonality, I think, would be too little to say. The jump between the »Ignatia« poems and the »Schorfheide« poems is quite big, — or wide. Most poets remain panic-stricken by what they have been praised for, and thus, become more and more self-similar with each book (such as Grünbein, Seiler, Kolbe, to name a few), until they turn to stone.

Esperer: Is my impression correct that, especially since the »Ignatia«, the wealth of intertextual references, in the form of allusions, quotations, semi-quotations and pseudo quotes, has increased significantly compared to the previous volumes?

Falkner: There are many allusions, intertextual references, quotations, that’s true. I’ll do it, I can’t help it! They should not enrich my poems, but rather let in fresh air (spirit).

 Esperer: Is Ignatia 3 a critique of language criticism?

Falkner: I wouldn’t call that criticism. It’s rather a game with all means, a kind of »snatch me, I am the language«, but the individual moves claim, in themselves, all „deeper meaning.“

Esperer: Is Ignatia 4 a critique of Leslie Fiedler’s philosophy, which can be summarized in his dictum: “Cross the border close the gap!”?

Falkner: Actually, I did not think of Leslie Fiedler when I composed »Ignatia No. 4«. This discussion is still on the verge of the 68’s, which are now only somewhat blurred in my memory.

Although a lot of »crazy stuff« has found its way into this beautiful poem. I do not belong to the people who only imagine their fate. After all, Leslie Fiedler’s ideas were finally published

in Playboy in the USA, which I haven’t succeeded in so far.

Esperer: Ignatia 5 seems to me to be a resounding criticism of the post-structuralists that is hard to beat in irony. Do I see that correctly?

Falkner: Well Ignatia 5 behaves »without distance« to poststructuralism. Overall, the Ignatia poems are bipolar elegies, where the emotional tone is repeatedly joined by rhapsodic invectives, which then indeed try to outdo themselves.

Esperer: An equally acrid criticism of post-structuralism seems to me to be »Ignatia 7«, which with refreshing poetic fantasy gives a brilliant brief foray into the history of philosophy. Am I right?

Falkner: The basic tone of »Ignatia 7« is rather melancholic. Bipolar means for me manic melancholic. I reject the term »depressive« in this context. The short foray into philosophy is due to a whim, after someone had been knocking on my apartment at 8:00 in the morning, but then there was nobody. Thus, I spent the rest of the day philosophizing.

Esperer: Let’s now turn to your latest poetry book »Schorfheide.« It is again written in a very special key, which I would almost like to call a bit melancholic. Am I mistaken by this impression?

Falkner: Now you’re mentioning melancholy yourself! In fact, melancholy is a considerable creative force in poetry, in contrast to depression, which is only cold and unfruitful. English romanticism is unthinkable without melancholy! (Keats, Shelley). In the »Schorfheide« poems, in which I »carry myself as a landscape through the country,« the floating emotional state is indeed predominantly melancholy.

Esperer: What is it about the fact that every poem recorded in Schorfheide has the same title, namely »Schorfheide«?

Falkner: The fact that all the poems in the volume »Schorfheide« have the same title Schorfheide, is due to my inclination towards the fine arts and conceptual ideas, which I have used again and again since my book Hölderlin’s repair. I wanted to tie the poems more closely together through a serial conception. Probably the best-known serial artist is Andy Warhol

with his „Campbell Soups“ or his „Marilyn Monroes.“ The poems also always show the same »can«, namely the landscape and nature of »Schorfheide«. The contents then deny the moments of repetition and variation.

Esperer: The Schorfheide poems are monologues embedded in nature that primarily invite us to think about language as communication, right?

Falkner: Right!

Esperer: Did the Fontane anniversary year encourage you to write your »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« or what was the motivation to think again about language in such a ramified way?

Falkner: No, the trips to the Schorfheide (and also the Mark) are due to my ornithological and botanical interests, and my desire for Himmel.

Esperer: Do you have further lyric projects in the pipeline?

Falkner: Unfortunately, I can’t talk about that yet and what you can’t (also) talk about, you should keep silent about.

Esperer: Which brings us back to Wittgenstein. Dear Gerhard Falkner, thank you very much for this lively conversation.

Amadé Esperer ist ein deutscher mehrsprachiger Dichter, Essayist, literarischer Ubersetzer und Herausgeber. Zusammen mit der Kunstlerin Anita Tschirwitz grundete er die mehrsprachige Literatur- und Kunstzeitschrift ARIEL. Er hat zahlreiche Gedichtbande veroff entlicht und ist ein profunder Kenner moderner und zeitgenossischer europaischer, nordamerikanischer und hebraischer Lyrik. Er hat unter anderem das Spatwerk von Jehuda Amichai ubersetzt und in zwei Anthologien und mehreren Essays veroff entlicht. Fur dieses Werk wurde er mit dem Simon-Hochheimer-Preis ausgezeichnet.

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